Wachsendes Ungleichgewicht in der Altersvorsorge
Das Eigenheim als Altersvorsorge gerät in Schieflage
Der Immobilienboom der vergangenen 10 Jahre hinterlässt seine Spuren. Am offensichtlichsten natürlich in der Schweizer Landschaft. Nicht weniger verheerend ist seine Wirkung jedoch in der Vermögensbilanz zahlloser Schweizerinnen und Schweizer. Denn auch hier nehmen Immobilien inzwischen mehr Raum ein, als man sich das eigentlich wünschen würde.
Viele geben für ihr Lebensziel sprichwörtlich alles
Wenn Private sich erstmals ein Haus oder eine Eigentumswohnung kaufen wollen, bedeutet dies für die meisten von ihnen einen grossen finanziellen Schritt, der wohl überlegt sein will. Deshalb brüten sie oft Stunden darüber, ob sie das notwendige Eigenkapital tatsächlich aufbringen und sich danach die Kosten für Zins, Unterhalt und Amortisation der Schuld auch wirklich leisten können.
Für viele Menschen ist Wohneigentum ein wichtiges Lebensziel. Es ist mit vielen positiven emotionalen Werten verbunden und bedeutet gleichzeitig immer auch ein soziales Statement. Wer will es den Kaufinteressenten da also verdenken, dass sie sich dieses Abenteuer schön rechnen und deshalb an ihre finanziellen Leistungsgrenzen oder darüber hinaus gehen? Niemand!
Auf lange Sicht sollte man diese Sentimentalitäten jedoch ablegen und sich der Sache mit Weitblick widmen. Und hier stellt sich die Sachlage deutlich problematischer dar:
Vermögensstruktur
Die tiefen Zinsen haben nur bei bestehenden Immobilien zu einer tieferen Belastung geführt. Bei den meisten Neubauten wurde der Effekt weitgehend durch höhere Marktpreise für Immobilien kompensiert. Dies wiederum hat zur Folge, dass mehr Eigenkapital verwendet wurde und eine höhere Tilgung notwendig ist.
Die Folge: Viele Neueigentümer haben ihre Eigenmittel bis zum Letzten ausgeschöpft. Nicht wenige auch einen Teil ihrer Altersvorsorge vorzeitig bezogen.
Das führt zwangsläufig dazu, dass die Vermögensaufteilung extrem einseitig ist.
Natürlich waren solche Ungleichgewichte schon in der Vergangenheit kaum zu vermeiden. Nur sorgen jetzt die hohen Tilgungsverpflichtungen dafür, dass sich diese Struktur verfestigt. Werden demnächst höhere Zinsen fällig, wird sich für viele Besitzer und Besitzerinnen von Wohneigentum daran nichts mehr ändern lassen.
Im besten Fall werden diese Immobilienbesitzer auf dem Papier immer reicher, haben aber gleichzeitig immer weniger Geld zur Verfügung um ihren Lebensstandard im Jetzt und erst Recht im Alter zu halten.
Im weniger günstigen Fall führt sie dieses Klumpenrisiko in ein finanzielles Desaster.
Altersvorsorge
Betongold ist zweifellos ein guter Weg der Altersvorsorge. Allerdings nur, wenn danach noch genügend Mittel zur Verfügung stehen, um damit im Alter den übrigen Lebensunterhalt zu finanzieren.
Auch hier geht es also darum, dass die Verhältnismässigkeit gewahrt bleibt. Was bedeutet das? Nun, orientieren Sie sich doch daran, dass das Thema Wohnen nicht mehr als ein Drittel der Lebenshaltungskosten ausmachen sollte. Wenn Ihr Vermögen* zu 90% aus Wohneigentum besteht, dann ist die Schieflage offensichtlich.
Das gilt insbesondere dann, wenn Sie einen Teil Ihres Vorsorgekapitals aus der Pensionskasse (BVG) vorbezogen haben.
Vorsorge sollte nicht nur im Regelfall funktionieren
Nicht wenige Betongoldbesitzer denken, sie könnten Ihr Eigentum bei Bedarf dann ja verkaufen. Nun, das ist richtig. Allerdings zeigt die aktuelle Marktsituation in aller Deutlichkeit, dass diese Option nicht verlässlich planbar ist.
Es gibt immer wieder Marktphasen, in denen die Immobilienpreise tief liegen, bzw. schlicht und ergreifend keine Käuferschaft aufzutreiben sind. Selbst dann, wenn man hinsichtlich des Preises Eingeständnisse zu machen bereit ist.
Jedes Alter hat seine eigene Risikofähigkeit
In jungen Jahren ist es durchaus in Ordnung, wenn man zur Erlangung eines Lebenstraumes ein höheres Risiko fährt. Man muss dabei jetzt nicht zwingend alles aufs Spiel setzen, aber wenn doch, hat man meist noch genügend Möglichkeiten den begangenen Fehler auszubügeln.
Im Alter ist das jedoch kaum mehr möglich. Wenn das Haus quasi im Notverkauf über den Tisch geht, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich noch ein auskömmliches Alterseinkommen sichern kann, objektiv gesehen nicht hoch.
Deshalb ist es so wichtig, dass die Vermögensstruktur langfristig in eine vernünftige Form gebracht wird. Und wenn das auf dem Weg des klassischen Sparens nicht möglich ist, muss man bereit sein sich vorzeitig von seiner Liegenschaft zu trennen. Und nicht erst, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht.
Die Erfahrungen der Vergangenheit haben einen zweifelhaften Wert
Die (frühe) Boomer-Generation kann darüber nur lachen. Denn sie haben ihre Häuser und Eigentumswohnungen zu einem – aus heutiger Sicht – vernünftigen Preis gekauft. Das ist bei den Jahrgängen 70 und später meist nicht mehr der Fall.
Es macht deshalb wenig Sinn, wenn man sich bei seinem Handeln auf die Geschichten und das Handeln früherer Generationen stützt. Deren Voraussetzungen waren ungleich günstiger, als bei jenen, die ihre erste Immobilie in den vergangenen 10 Jahren erworben haben.
Fazit:
No risk – no fun! Es ist durchaus in Ordnung, wenn man sich beim Kauf einer Immobilie an den Rand des Möglichen geht. Nur sollte man sich sehr genau überlegen, wo man diese Grenze setzt. Das Gute an schwierigen Marktphasen, wie wir sie im Moment gerade erleben, ist die der Umstand, dass wir wieder einmal daran erinnert werden, dass das Leben keine Einbahnstraße nach oben ist. Es gibt auch Ausreisser nach unten. Dies sollte man in seiner Planung berücksichtigen.
Und wenn man den Schritt gewagt und dabei alles Mögliche in die Waagschale gelegt hat, dann sollte man sich nicht von theoretischen Buchgewinnen beeindrucken lassen: Den Wert einer Liegenschaft erkennt man nicht am Preisschild, sondern am tatsächlich bezahlten Preis.
Mit virtuellen Gewinnen lässt sich die Krankenkasse nicht bezahlen
Von nicht realisierten Gewinnen können Sie nicht leben. Deshalb gilt: Cash is king! Sorgen Sie nach dem Kauf dafür, dass Sie möglichst rasch wieder Wasser und den Kiel bekommen. Also echte Liquidität schaffen. Echtes Barvermögen für das Leben im Jetzt und für die Altersvorsorge gerne auch in Form von ETF-Aktien-Fondsanteilen. Letzteres auch dann, wenn am Anfang nur in kleinen Schritten investiert werden kann.
Wenn Sie das beachten, wird Ihre Vermögensstruktur Schritt um Schritt wieder normal. Vielleicht werden Sie es nicht schaffen, die Immobilienquote wieder unter 35% zu drücken. Aber Sie sollten versuchen so nahe wie möglich dranzukommen.
*Bei der Vermögensstruktur für die Altersvorsorge muss man neben dem klassischen Vermögen auch noch die sogenannten Anwartschaften (Renten aus AHV und BVG) mitberücksichtigen, indem man sie kapitalisiert.
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